Die Mutter aller...
radioWelt - Magazin am Morgen
Dienstag, 04. Januar 2005
Ende der Welt
Die Mutter aller …
Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement verteidigt die Arbeitsmarktreform als die Mutter aller Reformen. Das kommt einem gleich irgendwie sehr bekannt vor. Hatte nicht schon vor Monatsfrist der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber die zwischenzeitlich gescheiterte Föderalismusreform als die „Mutter aller Reformen“ gepriesen? „Mutter aller“, das hat was. Diese Formulierung klingt nach Ursprung, nach Quelle des Lebens, nach Ur-Mutter sozusagen, nach einem positiven Urfunken, der noch lange und besonders stark wirken wird. Dass die öffentlichen Sprachschöpfer so offensichtlich „zurück zu den Müttern“ wollen, hat zweifellos mit mehr als einhundert Jahren erfolgreicher Frauenemanzipation zu tun. Davor – in den finsteren Jahren des 19. Jahrhunderts – war allerhöchstens noch der Krieg der „Vater aller Dinge“. Da sind wir jetzt endlich drüber weg. Nun wird die „Mutter aller“ sprachlich auf alles draufgeschraubt, ob sie passt oder nicht. Das reicht von der „Mutter aller Muffinrezepte“, die eine Internetseite „muffin-welt.de“ anbietet, bis zur „Mutter aller Klingeltöne“, einer Domain, die Telefontöne bereithält von „Der Mosh Frosch im Mixer“ bis „Heiligkeit! Anruf!“, was auch immer das nun bedeuten soll. Eine Mutter wird’s schon wissen. Aber wie geschmacklos ist eigentlich die „Mother of all Bombs“? So nennen die US-Militärs die Sprengbombe MOAB, die größte konventionelle der Welt, die auch ohne Radioaktivität einen gewaltigen Sprengpilz zustande bringt. Der Irakkrieg 2003 war zunächst als „Mutter aller Schlachten“ angekündigt, um jetzt in der medialen Nachbetrachtung auch zur „Mutter aller Aufmerksamkeitsschlachten“ zu mutieren. Der 80. Geburtstag von Bettie Page gebar die Formulierung, sie sei die „Mutter aller Pin-ups“ gewesen, was schon rein biologisch nicht stimmen kann. Und wer ist die „Mutter aller Verschwörungstheorien“? Alan Posener deckte es kürzlich in der Zeitung „Die Welt“ auf: Die vielen Gerüchte um die Ermordung John F. Kennedys nämlich. Oder vor 40 Jahren in Berkeley: „Die Mutter aller Studentenrevolten“ – aber da hätten andere Historiker noch ganz andere Daten anzubieten. Der amerikanische Jux-Kinofilm „Hot Shots“ hieß vor 14 Jahren bereits „Die Mutter aller Filme“, aber nur im deutschen Verleihtitel. In den USA reichte als ironischer Zusatz „An important movie“ – ein wichtiger Film. Hier im Lande der „Geiz ist geil“- und „Mutter aller“-Formulierer ist an der Sprach-Mutierung unserer Politiker vermutlich ein Elektronikmarkt schuld, der seit Monaten auf kaum mehr zumutbare Weise die „Mutter aller Schnäppchen“ auf die Pirsch schickt. Sparen, sparen, sparen – heißt das Diktat der Stunde. Und „Hartz IV“ wird logischerweise zur „Mutter aller Reformen“.
Stefan Mekiska